Kann jedes Kind Schlafen lernen? Interview mit einem Schlafcoach

Kaum ein Thema hat meine Leser so sehr bewegt, wie das Schlafen, beziehungsweise Schlafen lernen. Auf einer unserer Lesungen habe ich Kerstin Gaillard kennengelernt. Kerstin hat sich mir als Schlafcoach vorgestellt und damit hatte sie mich natürlich sofort: Am liebsten hätte ich ihr den ganzen Abend Fragen gestellt. Da es aber unsere Lesung war und natürlich primär die Fragen der Gäste im Vordergrund standen, habe ich jetzt ein Interview mit Ihr für diesen Blog geführt. Eine tolle Frau mit einem wirklich tollen Job!

Kerstin, Du bist Ergotherapeutin und auf Deinem Flyer an meiner Pinnwand steht nicht nur Babymassage, Trageberatung und Babyschwimmen sondern auch SCHLAFCOACHING. Wie wird man Schlafcoach und vor allem: Warum wird man Schlafcoach?

Liebe Shari, ich treffe wöchentlich ca. 50 Mamas mit ihren Babys zwischen 8Wochen und 12Monaten. Jeder bekommt in jeder meiner Kursstunden die Möglichkeit von den Höhen und Tiefen der vergangenen  Woche zu berichten. Eines DER Themen ist, neben der Beikosteinführung und dem: „meinst du mein Baby entwickelt sich zeitgemäß“, wie sollte es anders sein: der SCHLAF. „Und? Schläft es schon durch?“ Wer von uns hat das noch nicht gehört? Und doof, wenn man dann, nach zig gescheiterten Versuchen etwas zu ändern zugeben muss: „nein!“

 Schlafmangel war früher eine Foltermethode. Und erst wenn man Mutter ist weiß man: warum!!!

Ich wollte den Eltern kompetente Ratschläge geben können, wenn sie sich Woche für Woche öffneten und mir erzählten, dass sie aufgrund des Schlafmangels körperlich und psychisch am Ende seien. Hierfür musste ich selbst den Baby und Kinderschlaf erstmal richtig verstehen. Ich wollte meinen Kunden zu einer entspannten, alters- und entwicklungsentsprechenden guten Schlafens-Situation zu verhelfen und zwar individuell zu ihrer Familie und ihrer Familiengeschichte. Es gibt wie immer viele Wege zum Ziel.

Deshalb habe ich insgesamt drei qualifizierte Weiterbildungen gemacht und mich zum „familienorientierten Schlafcoach“ und „zum Schlafcoach und Schlafberater für Babys und Kleinkinder“ ausbilden lassen.

Ich habe ehrlich gesagt keinen einzigen Kurs gemacht. Weder vor noch nach der Geburt. Wie kommt es Deiner Meinung nach, dass es einen so großen Bedarf an Babykursen bis hin zur Schlafberatung gibt? Verlassen sich dich Menschen immer weniger auf ihre Intuition? Gibt es einen Wandel oder ist es einfach am Puls der Zeit, sich möglichst viel Input von außen zu holen?

Ich denke das sind zwei verschiedene Themen, Babykurse und Intuition.

Den meisten Müttern- mir übrigens auch, ich habe mit meinen Kindern selbst einige Babykurse besucht-  macht es einfach Spaß, sich regelmäßig mit Gleichgesinnten zu treffen. Die Babys sind in solchen Kurse meist gut gelaunt, strahlen und freuen sich über die ausgiebige exklusiv Zuwendung ihrer Eltern in einem solchen Kurs. Die Eltern lernen viele neue Lieder, Kniereiter und Fingerspiele und ihre Babys lernen oft „neue“ Spielmaterialien kennen, die sie in der Freispielzeit ausgiebig explorieren können, während die Mamas sich austauschen. Die meisten entlastet es zu hören, dass es anderen Müttern in Bezug auf Schlafmangel, Unsicherheit und wenig Zeit für sich ähnlich geht wie ihnen selbst.

Und nun zur Intuition. Meine Erfahrung ist es, dass die Mütter in meinen Kursen eine ganz wunderbare Intuition haben. Sie trauen sich allerdings leider oft nicht, sich ganz darauf zu verlassen und nutzen deshalb die Chance, sich bei den anderen Müttern im Kurs und letztendlich dann natürlich auch bei mir  rückzuversichern. Viele Eltern wissen eigentlich ganz genau, was ihre Babys gerade brauchen, lassen sich dann aber leicht verunsichern. Bei dem Überangebot an pädagogischer und pseudopädagischer Literatur wundert mich dies nicht!

Babykurse gab es schon immer! Vor allem Kirchengemeinanden haben sowas schon immer angeboten. Das es aktuell ein Überangebot an solchen Kursen gibt, die übrigens immer restlos ausgebucht sind, liegt sicher daran, dass es notwendig wird, sich nach  einer Geburt neu zu vernetzen. Freunde und Bekannte die noch keine Kinder haben, haben ganz andere Lebensthemen oder wohnen weit weg. Aus diesem Grund ist die Suche nach Gleichgesinnten aus der Nachbarschaft ein Muss.

Aber: auch ohne einen einzigen Babykurs besucht zu haben, wird sich das Baby prächtig entwickeln!! Ein Babykurs ist immer ein „Kann“, niemals ein „Muss“.

Nichts hat für mehr Diskussion gesorgt, als mein Blogbeitrag zum Thema „Schlafen – Kinderbett oder Familienbett“. Du bist selber Mutter von zwei Kindern. Wie handhabt ihr es zu Hause mit dem Schlafen?

Obwohl mich einige Freunde und Verwandte dafür belächeln: bei uns zu Hause läuft alles nach einem ganz  strengen Plan ab. Um 18Uhr essen wir zu Abend, dann gehen wir hoch, putzen die Zähne und ziehen den Kindern den Schlafanzug an. Meine kleine Tochter lässt sich vorher gern noch massieren, unser „Großer“ hat dann noch eine halbe Stunde exklusiv Zeit mit einem von uns (Gesellschaftspiele, Lego bauen, lesen oder auch mal eine kurze Folge TV schauen). Danach ist klar: wir bringen sie ins Bett, verabschieden uns und sehen uns am Morgen wieder. Gerade am Wochenende,  im Hochsommer oder im Urlaub fällt es mir oft selbst auf schwer, den Plan genau einzuhalten. Die Quittung bekommt man meist direkt: die Kinder schlafen die Nacht über unruhig und wachen morgens völlig übermüdet früher, statt, wie eigentlich geplant (spät ins Bett gleich lange schlafen) auf.

Beide Kinder haben zuerst im Beistellbett in unserem Schlafzimmer geschlafen. Es gibt nichts Innigeres und Praktischeres, wenn man das Baby stillt. Aber schon nach 6Monaten habe ich bei beiden Kindern gemerkt: sie werden wach, wenn wir ins Bett gehen. Nicht sofort, aber meist dann eine halbe Stunde später, genau dann, wenn ich gerade eingeschlafen war. Deshalb sind beide relativ schnell in ihre eigenen Zimmer umgezogen. Dort schlafen sie, immer!! Sie können uns natürlich jederzeit rufen, wenn etwas sein sollte. Aber es ist wirklich so gut wie nie was (toi, toi, toi), weil beide super in der Lage sind sich selbst zu regulieren.

Die Kinder brauchen Zimmer und Betten in denen sie sich wohl fühlen. Natürlich schlafen auch unsere Kinder nicht sofort ein, wenn man sie hinlegt. Aber sie spielen einfach noch ein paar Minuten vor sich hin, bis sie dann irgendwann einschlafen. Meine Tochter zum Beispiel liebt ihr Bett: wenn man sie mittags oder abends fragt, ob sie in die „ Heia“ möchte (nun gut, wir lassen es mal dahingestellt, ob man Verniedlichungen wie „Heia“ z.B. braucht, aber auch ich bin letztendlich ja auch nur Mutter ;O) ) bricht sie ab, was immer sie gerade macht (essen, Trampolinspringen,..), läuft zur Treppe und will „Heia“. Manchmal bin ich selbst überrascht ;O)

Übrigens: die Latenz, dass heißt die Zeit bis Kinder letztendlich einschlafen, sollte nicht länger als 10-20Minuten betragen. Dauert es deutlich länger, stimmt etwas mit dem Zeitpunkt zu dem wir sie hinlegen nicht. Dieser ist dann entweder zu früh, oder aber auch zu spät. Übermüdung macht es den Kindern besonders schwer einzuschlafen.

Lustig! Bei uns läuft auch immer alles genau nach Plan! Was ist in Deinen Augen die wichtigste Voraussetzung, damit Kinder in Ruhe durch bzw. einschlafen können?!

Kinder brauchen verlässliche Strukturen und Rituale. Wie auch sonst sollen sie wissen, was wir Eltern von ihnen wollen und was sie tun sollen? Die Eltern sind der Leuchtturm für die Kinder. Sie müssen genau wissen, was sie für sich und ihre Kinder wollen und das dann liebevoll aber konsequent durchsetzen. Wenn Eltern nur minimal zweifeln spüren die Kinder das sofort und sind verunsichert.

Und: ich glaube Kinder müssen in der Lage sein, alleine in den Schlaf zu finden. Nur so gelingt es ihnen bei nächtlichem Erwachen, was übrigens auch ganz normal ist (auch wir schlafen nicht durch), alleine wieder zurück in den Schlaf zu finden. Schläft ein Baby z.B. geschaukelt auf dem Arm ein und wird dann alleine in sein Bett gelegt, ist es wahrscheinlich, dass es nach 35-45Min wieder erwacht und in den Zustand zurück will, in dem es eingeschlafen ist. Logisch, oder? Verstehe mich nicht falsch: grundsätzlich spricht überhaupt nichts dagegen, ein Kind so einschlafen zu lassen, wie die Familie das entschieden hat. Aber wenn es zu Schlafproblemen kommt, die Eltern und/oder Kind beeinträchtigen, wäre es ein Weg daran zu arbeiten, dass das Kind in seinem Bettchen einschläft. Das geht übrigens ganz wunderbar auch ohne viele Tränen. Allerdings bedeuten Tränen beim Kind ja auch nicht immer völlige Verzweiflung und Hilflosigkeit. Oft ärgern sich Kinder einfach nur. Oder sie wundern sich: Rituale die nun monatelang praktiziert wurden, werden plötzlich geändert. Da darf man seinen Unmut schon mal äußern. Ich finde wir dürfen nicht so eine große Angst vor Babytränen haben. Wir kennen das selbst: weinen entlastet!

Wir haben vier Kinder. Jedes davon ist unterschiedlich, dennoch sind wir bei allen Kindern gleich vorgegangen. Ich habe sie ungefähr zum gleichen Zeitpunkt abgestillt, sie sind alle im gleichen Alter in ihr eigenes Zimmer gezogen, haben alle ähnlich schnell das Schlafen „gelernt“. Liegt es an unserer familiären Konstellation oder glaubst Du, dass jedes Kind Schlafen lernen kann?

Ja, ich denke doch: jedes Kind kann schlafen lernen. Ob die Kinder das müssen, entscheiden die Eltern. Sind sie mit ihrer Schlafensituation zufrieden, wie auch immer diese aussieht, dann einfach weiter so. Möchten sie was ändern, dann ran. Besser früher als später! Ich sage immer: in den ersten drei Lebensmonaten ist alles erlaubt. Aber trotzdem dürfen wir den Kindern zutrauen, auch alleine zu (einzu-) schlafen. Gerade am Anfang geht das ja meist recht gut!

 In den Schlaf-Diskussionen fällt häufig das Steinzeit-Argument: Früher haben Familien auch in der Höhle in einem Raum, in einem gemeinsamen Bett geschlafen. Was sagst Du diesen Leuten?

Solange alle gut schlafen und die Sicherheitsvorkehrungen (SIDS und Sturz!!)  eingehalten werden, spricht ja überhaupt nichts gegen ein Familienbett. Dann sollte man vielleicht tatsächlich überlegen, ob man aus dem ehemaligen Ehebett nicht offiziell ein Familienbett macht und das Bett z.B. deutlich vergrößert etc.! Doof ist es, wenn im Familienbett dann plötzlich niemand mehr schlafen kann. Dann sollte man überlegen, ob das die richtige Schlafform ist. Und ob man etwas ändern möchte.  

Wann rufen Dich Eltern an? Wo liegt in Deinen Augen das häufigste Problem?

Oft rufen die Eltern an, wenn sie schon völlig am Ende sind. Wenn die Kinder schlecht einschlafen, schnell wieder aufwachen, nachts stundenlang wach liegen oder morgens sehr früh erwachen.

Wenn man alle medizinischen Faktoren für eine Schlafstörung ausgeschlossen hat, ist das größte Problem meiner Erfahrung nach die Übermüdung der Kinder. Es ist ganz wichtig, dass Babys und Kleinkinder tagsüber regelmäßig schlafen und es eine Tagesstruktur gibt, in der ein immer wiederkehrendes Schlafritual Platz hat. Damit ist nicht nur das Ritual unmittelbar vorm Ablegen gemeint, sondern schon die letzte Stunde davor. Die meisten Kinder können schlecht von 100 auf null. Wenn sie verlässlich wissen, welcher Schritt nach welchen kommt,  können sie sich aufs Schlafen einstellen.

Wie läuft eine Schlafberatung ab? Machst Du auch telefonische Beratung?

Nachdem die Eltern sich für eine Schlafberatung bei mir entschieden haben gibt es für gewöhnlich ein ausführliches Anamnesegespräch, das eigentliche Coachinggespräch und zum Abschluss ein Feedbackgepräch. Die Eltern erhalten schon vor dem ersten Gespräch Hausaufgaben, in dem sie z.B. Protokolle (über Schlafen, Essen, Tagesstruktur,..) führen müssen und sich ein fixes, messbares Ziel setzen. Wir legen dann einen gemeinsamen Weg fest, auf dem ich die Eltern intensiv begleite. Handeln müssen dann allerdings die Eltern. So ein Coaching ist kein Spaziergang, sondern harte Arbeit, führt aber mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zum Erfolg.

Eine Schlafberatung bei mir kann selbstverständlich auch telefonisch erfolgen, oder per Skype oder Zoom.

Danke für das Interview!

Alle weitern Infos bekommt Ihr auf Kerstins Seite: Kerstin Gaillard Schlafcoach.