Angelman Syndrom: Wenn es einem die Sprache verschlägt

Diagnose Angelman Syndrom. Es gibt viel, was mich seit diesem Tag beschäftigt. Dieser Tag, der unser Leben komplett verändert hat. Der erste Gedanke nach der Diagnose, an den ich mich erinnere, war der Freund. Die große Liebe. Vielleicht, weil sie in jedem Leben einen so großen Stellenwert hat. Weil man sich das so sehr wünscht für sein Kind. Heute hat die Trauer darüber keine große Bedeutung mehr. Die meisten Dinge ergeben sich von selbst und der Gedanke daran ist rückblickend meist schmerzhafter als die Realität selbst. Es gibt sie aber noch, die Momente, wo es uns die Sprache verschlägt.

Mari ist fast vier Jahre alt. Sie hat sich wahnsinnig entwickelt und macht Dinge, von denen wir nicht geglaubt hätten, dass sie überhaupt passieren. Diesen Sommer hat sie laufen gelernt. Von einem Tag auf den anderen. Kein schleichender Prozess. Ein ergreifender Moment, in dem uns mal wieder klar wurde, dass da noch so viel mehr drin steckt, in unserem Kind. Wir haben immer gehofft, dass sie es vielleicht irgendwann lernt, es uns aber nicht zu träumen gewagt. Jetzt gehört das Laufen fest zu unserem Alltag. Sie ist schnell. Auch schnell weg. Aber sie macht uns unglaublich glücklich und stolz. Es verschlägt uns immer wieder die Sprache.

Eine Sache fällt uns schwer zu akzeptieren. Ihr Sprachzentrum ist so sehr beeinträchtig, dass sich gesprochene Sprache nur rudimentär entwickeln kann. Man geht von maximal 10 Worten aus. Sie kann uns nicht sagen, wenn es ihr schlecht geht oder sie ein dringendes Bedürfnis hat. Durst, Hunger oder Schmerzen. Wenn im Kindergarten etwas passiert ist, ihr Schuh drückt oder sie einfach gerne mal wieder ihre Oma oder Tante sehen möchte. Wenn sie dann nicht zu uns durchkommt, sich unverstanden fühlt, zieht sie uns oft an den Haaren. Auch ihren Geschwistern oder anderen Kindern. Wie soll sie es auch anders auf sich aufmerksam machen? Mit Nachdruck versuchen wir ihr dann zu erklären, dass das nicht geht. Meist erkennen wir erst im Nachgang, was ihr dringendes Bedürfnis war. Der unter den Schrank gerollte Ball. Eine nasse Hose. Oder ein verlorener Schnuller. Wenn uns das Problem klar wird, sind wir immer wieder sprachlos. Und traurig.

Das Angelman Syndrom ist nicht vergleichbar mit Autismus. Mari nimmt teil an unserem Leben. Sie versteht was wir sagen. Wenn ich ihr erkläre, dass der Papa bald nach Hause kommt, läuft sie zur Tür und wartet hoffnungsvoll. Schimpfe ich zu unrecht mit ihr, kann sie sich nicht erklären und ist frustriert. Mari findet aber jeden Tag neue Wege, um Situation oder Bedürfnisse zu erklären. Wir verstehen sie und finden eine gemeinsame Sprache. Eine Sprache, die wir gut verstehen. Oft aber nur wir. Das macht es so schwierig, Mari in fremde Hände zu geben. Die immer quälende Frage, ob auch andere Maris Bedürfnisse erkennen.

Unsere Gedanken kreisten lange um das Laufen. Es macht uns glücklich, dass sie es kann. Für die Zukunft suchen wir nach einem Weg, wie Mari sich auch anderen Menschen mitteilen kann. Iphone, Ipad und co. liegen ständig um sie herum. Ziel wird es also sein, mit Hilfe von Bildkarten oder sogar einer App zu kommunizieren. Es wird nie darum gehen, dass Mari Physikerin, Bundeskanzlerin oder Raketenforscherin wird. In Maris Leben geht es um Schuhe binden oder selbständiges Toilette gehen. Und um eine für jedermann zugängliche Sprache. Wir sind guter Dinge, dass sie alles Schritt für Schritt lernt. Und dass sie irgendwann alle gut verstehen.